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Neue BSG-Urteile zur Sozialversicherungspflicht von Notärzten


von Dr. Stephan Porten

Sind Notärzte sozialversicherungpflichtig? Diese Frage hat die Sozialgerichte (SG) über viele Jahre beschäftigt. Nunmehr liegt eine rechtskräftige letztinstanzliche Entscheidung vor. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat am 19. Oktober 2021 in drei Fällen (Az.: B 12 KR 29/19 R, B 12 R 9/20 R, B 12 R 10/20 R) bejaht, dass Ärztinnen und Ärzte, die im Nebenjob immer wieder als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst tätig sind, in ihrer Notarzttätigkeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.  Was bedeutet die Entscheidung und mit welchen Folgen ist zu rechnen?

Die drei Entscheidungen des Bundessozialgerichts liegen bisher noch nicht mit schriftlichen Gründen vor. Die Pressemitteilung des Gerichts zur mündlichen Urteilsbegründung gibt aber bereits ein gutes Bild der Argumentation der Kasseler Richter. Hierbei verweist das Gericht zunächst auf seine Honorararzturteile aus dem Jahr 2019 (u. a. BSG, Urt. v. 04.06.2019, Az.: B 12 R 11/18 R, § 7 Nr. 42).  

Danach sei eine Gesamtwürdigung der Tätigkeit maßgeblich, in der insbesondere die Eingliederung in die Arbeitsorganisation in den Blick zu nehmen sei. Das Gericht bejaht hierbei in allen drei Ausgangsverfahren eine Weisungsgebundenheit von Notärzten. Das Weisungsrecht bestehe zumindest insoweit, als die Leitstelle den Einsatz lenke und dem Notarzt den Einsatzort zuweise, an den er sich so schnell wie möglich zu begeben habe.

In die Arbeitsorganisation des Rettungsdienstes sei der Notarzt eingegliedert, weil er zur Erbringung der Notarzttätigkeit Arbeitsmittel nutze und mit Personal arbeitsteilig zusammenwirke, das zu dessen Rettungsdienstbetrieb gehörte. Ausschlaggebend sei, dass die Ärztinnen und Ärzte während ihrer Tätigkeit als Notärztin und Notarzt in den öffentlichen Rettungsdienst eingegliedert waren. Der Träger des Rettungsdienstes beschaffe die notwendigen Einrichtungen, Betriebsmittel und das weitere Personal. Dass diese Einbindung des Notarztes in die "Rettungskette" zum einen "in der Natur der Sache" des Notarzteinsatzes liege und zum anderen den regulatorischen Vorgaben entspricht, ändere nichts daran, dass hierdurch eine Eingliederung erfolge. Notärzte unterlägen Verpflichtungen, zum Beispiel der Pflicht, sich während des Dienstes örtlich in der Nähe des Notarztfahrzeuges aufzuhalten und nach einer Einsatzalarmierung durch die Leitstelle innerhalb einer bestimmten Zeit auszurücken. Zudem nutzten sie überwiegend fremdes Personal und Rettungsmittel. Dass es sich dabei in einem Ausgangsfall nicht um Rettungsmittel des betroffenen Landkreises als Arbeitgeber, sondern der Stadt handele, rechtfertige keine andere Entscheidung. Denn der Arzt setze jedenfalls keine eigenen Mittel in einem wesentlichen Umfang ein.

Überwiegende Anhaltspunkte für eine selbstständige Tätigkeit sahen die Richterinnen und Richter demgegenüber nicht. Dass die Beteiligten davon ausgingen, die Tätigkeit erfolge freiberuflich beziehungsweise selbstständig, sei angesichts der Vereinbarungen und der tatsächlichen Durchführung der Tätigkeit irrelevant. Während der einzelnen Dienste hätten sie insbesondere aufgrund ihrer Eingliederung in eine fremde Organisation keine Möglichkeit, ihren eigenen Gewinn durch unternehmerisches Handeln zu steigern.

Von erheblicher praktischer Bedeutung sind die Ausführungen zur sogenannten kurzfristigen Beschäftigung. Das Gericht meint hierzu, dass die Tätigkeit der Notärzte systematisch und strukturell auf ständige Wiederholung angelegt sei. Es handele sich daher um eine regelmäßige Beschäftigung.

Zu der 2017 eingeführten Sonderregelung des § 23c Abs. 2 SGB IV, mit der notärztliche Tätigkeit unter bestimmten Rahmenbedingungen beitragsfrei in der Sozialversicherung sei, hatte des BSG nicht zu entscheiden.

Kaum Spielraum für Einzelfallgestaltungen

Auch wenn eine genaue Auswertung der Urteile erst dann möglich sein wird, wenn die Urteilsgründe vorliegen, ist aus der Pressemitteilung des Gerichts zu schließen, dass – wie bei den Honorarärzten – auch bei den Notärzten zukünftig kaum Spielraum für Einzelfallgestaltungen bleiben wird. Diese lassen keine Möglichkeiten, sich in Zukunft im Einzelfall auf besondere Fallgestaltungen zu berufen („Bei uns ist es aber anders…“). Es handelt sich erkennbar um Grundsatzentscheidungen zur Notarzttätigkeit. Die Argumentation des Gerichts ist nicht überraschend und entspricht der bisherigen Rechtsprechung. Weisungsgebundenheit und Eingliederung werden vom Gericht eindeutig bejaht.

Die Begründung der Landessozialgerichte (LSG) in Hessen (Urt. v. 11.04.2019, Az.: L8 KR 487/17) und Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 08.02.2017, Az.: L 8 R 162/15), die damit argumentiert hatten, dass der Notarzt in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis tätig sei und es damit keine arbeitsrechtlichen Weisungsrechte gebe, hat das BSG nicht bestätigt.

Viele Rettungsdienstträger – aber auch Krankenhäuser – hatten nach den Honorararzturteilen auf die Möglichkeit der kurzfristigen Beschäftigung (§ 8 Abs.1 Nr. 2 SGB IV) gesetzt.

Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn die Beschäftigung im Lauf eines Kalenderjahres von vornherein auf nicht mehr als drei Monate oder 70 Arbeitstage (in der Zeit vom 1. März 2021 bis 31.Oktober 2021 gelten vier Monate oder 102 Arbeitstage) im Kalenderjahr befristet ist und die Beschäftigung nicht berufsmäßig ausgeübt wird. Selbst die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hatte diese Regelung bei vielen Betriebsprüfungen im Hinblick auf Notärzte für anwendbar gehalten. Voraussetzung ist aber, dass bei einer kurzfristigen Beschäftigung die Tätigkeit nicht regelmäßig, sondern nur immer wieder ausgeübt wird.

Diese schon sprachlich dünne Grenzlinie hat nun das BSG für Notärzte neu gezogen: Sie seien regelmäßig tätig und damit sei für sie diese Regelung nicht nutzbar.

Hier muss man noch die Argumentation des Gerichts abwarten, um zu wissen, inwieweit dies verallgemeinerungsfähig ist. Die bisher bekannte Begründung des Gerichts lässt vermuten, dass sich die Richterinnen und Richter daran gestört hatten, dass in dem Ausgangsfall der Notarzt offenbar über lange Zeiträume quasi fester Bestandteil der Dienstplanung war. Bei der Nutzung der kurzfristigen Beschäftigung ist daher zukünftig Vorsicht geboten, wenn wirklich über lange Zeiträume – quasi vorhersehbar – auf bestimmte Kräfte zurückgegriffen wird.

Fazit

Das BSG hat keine Aussage zu der seit 2017 bestehenden Sonderregelung des § 23c SGB IV für Notärzte gemacht hat. Diese Sonderregelung besagt, dass Notärzte, unabhängig davon, ob sie abhängig beschäftigt oder selbständig sind, unter bestimmten Voraussetzungen in der Sozialversicherung beitragsfrei sind. Diese Regelung ist also weiterhin unangefochten und rechtssicher nutzbar. Nach dem Stand der Dinge ist diese Regelung damit der verbliebene „sichere Hafen“ für das bisherige Tätigkeitsmodell im notärztlichen Dienst. Die Voraussetzungen einer Beitragsfreiheit müssen die Rettungsdienste und Kommunen im Auge haben und letztlich regelmäßig abfragen. So entfällt z.B. eine anderweitige Beschäftigung im Sinne der Vorschrift, wenn der Arzt oder die Ärztin in Rente geht. Auch zur Privatniederlassung als anderweitige Beschäftigung gibt es einige Unsicherheiten.

Weiterführende Literatur

Porten (2017) Sozialversicherungsfreiheit für Notärzte – Bestandsaufnahme einer Neujustierung, NZS 2017, S. 495 ff.

Rechtsanwalt Dr. Stephan Porten
Fachanwalt für Medizinrecht
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