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Krankenhausreform 2024 ante portas – zu Risiken und Nebenwirkungen vereinbarter politischer Agreements


von Prof. Dr. Thomas Ratajczak und Prof. Roger Jaeckel

Mit den am 10.07.2023 zwischen Bund und Ländern vereinbarten Eckpunkten wurden die Grundlagen für eine groß angelegte Krankenhausreform geschaffen, welche im vierten Quartal dieses Jahres noch sämtliche parlamentarische Hürden durchlaufen soll, die ein zustimmungspflichtiges Bundesgesetz in dieser Dimension so mit sich bringt. Begleitet werden soll die Reform durch ein Krankenhaustransparenzgesetz.

Neuerungen

Die Reform setzt auf zwei grundlegende Neuerungen:

  • die Modifizierung der bisherigen Krankenhausvergütung nach DRGs durch eine komplementär gestaltete Vorhaltefinanzierung sowie
  • eine bundeseinheitlich vorgegebene Leistungsplanung in Form von Leistungsgruppen.

Man mag es drehen und wenden, wie man will. Der Gestaltungsauftrag an die Länder erfährt mit diesen Reformelementen einen exorbitanten Entscheidungs- und Kompetenzzuwachs.

Leistungsgruppen als neue Eckpfeiler der Krankenhausplanung

Die Einführung von Leistungsgruppen als Instrument der Krankenhausplanung kann als Herzstück dieser Krankenhausreform bezeichnet werden. Nach dem zwischen Bund und Ländern vereinbarten Eckpunktepapier werden mit dem Konzept der Leistungsgruppen im Wesentlichen zwei Funktionen verfolgt:

  • einen einheitlichen Qualitätsstandard in der stationären Versorgung in Deutschland sicherzustellen sowie
  • Leistungsgruppen als Grundlage für die Zuweisung der spätestens ab 2026 geplanten Vorhaltevergütung zu implementieren, welche die bisher rein fallbezogene DRG-Vergütung komplementär ersetzen soll.

Leistungsgruppen und Vorhaltefinanzierung beschränken sich auf somatische Krankenhäuser.

Die Bundesländer müssen ihre Krankenhausgesetze dazu anpassen. Wie das geschehen kann, zeigt NRW (s. auch Stollmann, KH-J 3/2023, S. 69 ff.). NRW hat als erstes Bundesland im April 2022 Leistungsgruppen als Instrument der Krankenhausplanung eingeführt. Der neue Krankenhausplan umfasst mit Anhang stattliche 350 Seiten. Diese landesspezifische Reforminitiative wurde bereits 2019 begonnen und soll spätestens zum Sommer 2024 zum Abschluss gebracht werden. Als Vorbild dieses neuen Planungsansatzes diente die Schweiz.

Die Bundesländer müssen die entsprechenden Leistungsgruppen per Feststellungsbescheid jedem einzelnen Krankenhaus zuweisen. Dazu sind die Rechtsstreitigkeiten bereits absehbar. Woher nehmen die Bundesländer gesicherte Daten- bzw. Informationsgrundlagen für die Zuordnung der derzeit angedachten 65 Leistungsgruppen? Schon die Frage, ob deren Einteilung und Abgrenzung medizinisch sachgerecht oder nur politisch ist, birgt Zündstoff. Die Leistungsgruppen werden zwangsläufig Auswirkungen auf die ärztlichen Fachgebiete haben. Ohne die in der bisherigen Reformdiskussion noch nicht weiter bedachte Beteiligung der Landesärztekammern wird man das nicht lösen können. Auch die Krankenkassen werden noch ein gewichtiges Wort mitzureden haben, sollen sie doch in der Übergangszeit die finanzielle Hauptlast stemmen, was sie erneut mit versicherungsfremden Ausgaben belastet.

Es stellt sich die Frage, ob sich der angedachte Reformzeitplan schon aus formalen Gründen so umsetzen lässt. Immerhin müssen die zwischen Bund und Ländern vereinbarten 65 Leistungsgruppen in einer Rechtsverordnung des BMG mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, was frühestens im 1. oder 2. Quartal 2024 erfolgen kann. Erst dann können die Länder eine Anpassung ihrer Landeskrankenhausgesetze vornehmen. Und wie so oft steckt auch hier der Teufel bekanntermaßen im Detail.

Eine weitere zeitliche Erschwernis stellt das den Ländern eingeräumte Recht der Anerkennung vergütungsneutraler Ausnahmetatbestände bei der Zuweisung der Leistungsgruppen dar, um im Einzelfall eine flächendeckende Versorgung gewährleisten zu können oder eine Anpassung der Krankenhäuser an die Qualitätsvorgaben zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang besteht auch die Möglichkeit einer befristeten Zuweisung von Leistungsgruppen. Man wird nicht umhin kommen, alle dazu ergehenden Entscheidungen auf Landesebene als justiziable Rechtsakte zu bewerten.

Rahmenbedingungen der künftigen Vorhaltefinanzierung

Die Idee der Einführung einer erlösunabhängigen Vorhaltefinanzierung wurde ein wesentlicher Garant für die Einigung auf das Eckpunktepapier vom 10.07.2023. Allerdings wird der Anteil der Vorhaltevergütung den Krankenhäusern nicht leistungsunabhängig zugewiesen, sondern an die Zuweisung der einzelnen Leistungsgruppen gekoppelt. Damit wird deutlich, dass die Anerkennung der entsprechenden Leistungsgruppen die Grundvoraussetzung dafür ist, dass eine Vorhaltefinanzierung erfolgt – und im Zweifel die Einrichtung von Leistungsgruppen für die Fortexistenz medizinischer Fachgebiete im stationären Bereich von existenzieller Bedeutung ist. Der Beginn der Vorhaltefinanzierung wird nicht zeitnah erfolgen können, da die bundesweit vorgegebenen Leistungsgruppen auf Landesebene implementiert werden müssen, so dass erst ab 2026 mit einer budgetneutralen Einführung der Vorhaltepauschalen zu rechnen sein wird. Das bisherige Krankenhausbudget soll nicht als Berechnungsgrundlage dienen, sondern die krankenhausindividuell anerkannten Leistungsgruppen. Dass das reibungslos funktionieren wird, darf bezweifelt werden. Schließlich hängt der Fortbestand des einzelnen Krankenhauses davon ab.

Nach dem Eckpunktepapier wäre der Berechnungsprozess überaus kompliziert. In einem zweistufigen Verfahren wird das leistungsgruppenbezogene Vorhaltebudget   ermittelt. Ausgangspunkt soll das bundesweit bestehende Erlösvolumen sein, das für jede Leistungsgruppe vom InEK ermittelt wird. In einem ersten Schritt wird das aus den Fallpauschalen ausgegliederte Erlösvolumen nach Bundesland und Leistungsgruppen zugeordnet und das spezifische Erlösvolumen mit dem jeweiligen Landesbasisfallwert des Vorjahres gewichtet werden. Da das Vorhaltebudget auf Landesebene gedeckelt sein wird, ist die noch ungeklärte Festlegung des heranzuziehenden Basisjahrs von zentraler ökonomischer Bedeutung. Denn durch die vorgesehene strikte Ausgabendeckelung wäre ein Budgetzuwachs faktisch ausgeschlossen.

In einem zweiten Schritt sollen für jedes Krankenhaus die zugewiesenen Leistungsgruppen nach Fallzahl und Fallschwere eingestuft und das zuvor landesweit ermittelte Leistungsgruppenbudget zwischen den einzelnen Krankenhäusern rechnerisch aufgeteilt werden. Kritisch anzumerken bleibt, dass die Verteilung des krankenhausspezifischen Vorhaltebudgets einzig und allein durch das InEK erfolgt und sich somit ein erheblicher Betriebskostenanteil eines Krankenhauses (60%) bei Streitigkeiten einer Klärung durch die Landesschiedsstelle nach § 18a KHG entzieht.

In einer Übergangsphase sollen die Krankenhäuser im Jahr 2026 eine budgetneutrale Auszahlung des krankenhausindividuellen Vorhaltebudgets erhalten. Daran schließt sich eine mehrjährige Konvergenzphase an, die ein leistungsgruppenbezogenes Vorhaltebudget zum Ergebnis hat. Der prozentuale Anteil des Vorhaltebudgets kann wegen des in den Fallpauschalen verbleibenden Sachkostenanteils von Leistungsgruppe zu Leistungsgruppe deutlich variieren, was die Funktionalität und individuelle Berechenbarkeit der Vorhaltefinanzierung für das seine Einnahmen planen müssende Krankenhaus deutlich einschränken kann.

Die Modalitäten zur Auszahlung des Vorhaltebudgets sind bisher nicht geklärt, nur eine unterjährige Ausgleichszahlung in Form einer Abschlagszahlung zur Aufrechterhaltung der Liquidität ist angedacht. Wie in diesem Zusammenhang die PKV, Beihilfebehörden und Selbstzahler in einen Abschlagsmodus einbezogen werden sollen, wurde bisher nicht thematisiert.

Level-Einteilung

Die vorgesehene Einteilung der Krankenhäuser in Level Ii, In, F, II, III und III/U dürfte sich als sehr konfliktträchtig erweisen. Vor allem um den Level-II-Status dürfte gekämpft werden. Die Mehrzahl der jetzigen Kliniken wird Level In werden, sofern sie über eine Notfallversorgung verfügen, und sonst in den untersten Level Ii eingestuft werden. Warum das Eckpunktepapier die Level I mit kursiv geschriebenen Buchstaben klassifiziert, wird nicht erklärt. Ein Schelm, wer denkt, dass kursiv gekippte Buchstaben auf das künftige Schicksal der Level-I-Häuser hinweisen könnten.

Kooperationsvereinbarungen im künftigen Leistungsgeschehen

Kliniken sollen ihre Level-Zuordnung sichern oder verbessern können, indem sie Kooperationen mit anderen Kliniken eingehen, um die Patientenversorgung wechselseitig zu sichern/zu verbessern. Es liegt auf der Hand, dass damit rasch kartellrechtliche Fragen berührt werden. Auch kann man sich die Frage stellen, wann solche Kooperationen mit dem Korruptionsstrafrecht in Konflikt kommen. Die Compliance-Anforderungen an für den Level statusrelevanten Kooperationen werden erst noch entwickelt werden müssen. Es geht ja um Kooperationen weiterhin konkurrierender Häuser und nicht um kalte Fusionen.

Bund-Länder-Kompetenzabgrenzung

Der Bundesgesundheitsminister bezeichnet die anstehende Reform als Revolution. In der Tat versucht er, über das von der DKG treffend als trojanisches Pferd bezeichnete Krankenhaustransparenzgesetz in die Krankenhausplanung der Länder dadurch Dynamik zu bekommen, dass von den Patienten erwartet wird, dass sie bei Vorliegen entsprechender Qualitätsinformationen „mit den Füßen abstimmen“ werden. Umfrageergebnisse lassen das als naheliegend erscheinen. Ein solches Informationskonzept hat die Bertelsmann-Stiftung für bestimmte Eingriffe kürzlich vorgestellt. Wenn die Informationen seitens des Staates kommen, wird die Frage, wie man die Validität der Informationen sicherstellt und sich gegen invalide Informationen wehrt, sicherlich intensiv die Gerichte beschäftigen.

Mit dem Krankenhaustransparenzgesetz wird die verfassungsrechtlich interessante Frage aufgeworfen, ob der Bund in die tatsächliche Basis der Krankenhausfinanzierung (Patientenflüsse) so eingreifen darf, dass den Ländern keine andere Wahl bleibt, als sich den bundesrechtlichen Krankenhausplanungskonzepten zu unterwerfen, wenn sie die Finanzierung nicht allein stemmen können. Ob das Bundesverfassungsgericht auch dann noch vor den Entwicklungen im Gesundheitswesen die Augen verschließen wird?

Level-Ii-Krankenhäuser und ambulante Versorgung

Als neues Strukturelement sind sektorenübergreifende Versorger im Sinne von Level-Ii-Krankenhäusern vorgesehen, bei denen sich – je nach Ausgestaltung – die Frage stellt, ob es sich noch um Krankenhäuser i.S. des § 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V handelt, wenn sie unter pflegerischer Leitung stehen. Sie sollen Plankrankenhäuser nach § 108 Nr. 2 SGB V sein, soweit sie stationäre Leistungen erbringen. Strukturpolitisch wird das Ziel verfolgt, den Weg zu einer sektorenübergreifenden und integrierten Gesundheitsversorgung zu ebnen.

Vom Level Ii sind ca. 680 Kliniken betroffen. Das ist mehr als 1/3 des jetzigen Gesamtbestandes. Für sie sieht Ziffer 4 des Eckpunktepapiers ein Sammelsurium an Optionen vor, die alle noch nicht wirklich durchdacht erscheinen:

„Hierunter können bettenführende Primärversorgungszentren (PVZ), Regionale Gesundheitszentren (RGZ), integrierte Gesundheitszentren oder andere ambulant-stationäre Zentren fallen. Diese Einrichtungen sichern eine wohnortnahe medizinische Versorgung durch eine Bündelung interdisziplinärer und interprofessioneller Leistungen und entwickeln sich regelhaft aus dem stationären Bereich, insbesondere durch die Umwandlung bisheriger Krankenhäuser, können sich aber auch aus ambulanten Versorgungsmodellen heraus entwickeln. Diese Versorger können bei entsprechendem Bedarf auch neu vorgesehen werden.“

Vor allem darf man sich die Frage stellen, woher das dafür erforderliche Personal kommen kann, wenn die Kliniken schon heute ihren vollen Bettenbestand wegen Personalmangels nicht mehr anbieten können.

Die Idee der Level-Ii-Häuser als „Mädchen für alles“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zwischen ambulanter und stationärer Versorgung existierende formale Grenzziehung auch weiterhin Bestand haben wird. Deshalb wird der für Level-Ii-Krankenhäuser vorgesehene Leistungsmix sowohl aus Krankenhausleistungen als auch aus ambulanten ärztlichen und medizinisch-pflegerischen Leistungen bestehen. Für den stationären Teil zeichnen sich die Länder im Rahmen ihrer Krankenhausplanungskompetenz verantwortlich. Für die Vergütung stationär erbrachter Leistungen sind die Krankenkassen vor Ort zuständig, mit sektorenübergreifenden Versorgern degressive Tagespflegesätze zu verhandeln. Damit sind LevelIi-Krankenhäuser nicht an der Zuteilung von Leistungsgruppen beteiligt und partizipieren auch nicht an der Vorhaltevergütung.

Bisher ungeklärt bleibt die Frage, wie die wirtschaftliche Absicherung von Level-Ii-Krankenhäusern erfolgen soll, gerade was das Angebot an ambulanten medizinischen und pflegerischen Leistungen betrifft. Die Länder bestimmen über Art und Anzahl der zugelassenen Level-Ii-Krankenhäuser, allerdings ohne Einfluss auf die komplementär vorgehaltenen ambulanten Versorgungsstrukturen. Völlig offen ist, wie sich diese Einheiten in die Struktur der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung einfügen sollen, zumal sie nach Ziffer 5.7 des Eckpunktepapiers „für ihre erbrachten Leistungen Anspruch auf Förderung ihrer Investitionskosten [haben], soweit und solange sie in den Krankenhausplan eines Landes und in das Investitionsprogramm aufgenommen“ sind. Derartige Subventionen gibt es für die vertragsärztliche Versorgung nicht.

Fazit und Ausblick

Von einem politisch konsentierten Eckpunktepapier zu einem formalen Gesetzestext ist noch ein sehr langer Weg, wenn man den Regelungsumfang und auch die erforderliche Regelungstiefe bedenkt, die sich weit über das eigentliche und bundesweite Reformgesetz hinaus erstrecken. Von daher sind berechtigte Zweifel angebracht, ob die verfolgten Reformziele und der bisher angedachte Reformzeitplan einen Start dieses Reformvorhabens ab 2024 überhaupt zulassen, zumal die aktuellen Finanzierungsprobleme im Krankenhaus mit diesem Ansatz nicht gelöst werden.

Weiterführende Literatur

 

Prof. Dr. Thomas Ratajczak
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Sozialrecht
RATAJCZAK & PARTNER mbB Rechtsanwälte
Posener Str. 1, 71065 Sindelfingen
ratajczak@rpmed.de

Prof. Roger Jaeckel
Hochschule Neu-Ulm, Fakultät Gesundheitsmanagement
Senior Berater bcmed GmbH
Neue Straße 71, 89073 Ulm
jaeckel@bcmed.de