von Tilmann Dittrich
Anfang März 2024 kündigte Bundesgesundheitsminister Lauterbach in einem Zeitungsinterview ein neues Gesetzesvorhaben an, mit dem das Gesundheitswesen auch auf militärische Konflikte vorbereitet werden soll. Mit einem Entwurf sei im Sommer 2024 zu rechnen. Solche Vorhaben müssen stets auf schon bestehende bzw. sich sicher anbahnende Gesetzesvorhaben „abgeklopft“ werden, um die Notwendigkeit einer Gesetzgebung sowie die Einbettung in bisherige Regelungen abschätzen zu können. Zu nennen ist hier insbesondere die Krankenhausalarm- und -einsatzplanung (KAEP), zu der sich vermutlich ab Herbst 2024 das Kritis-Dachgesetz „gesellen“ wird.
Die KAEP ist ein Risiko- und Krisenmanagement-Prozess zur Bewältigung großer Schadenslagen, der seine gesetzliche Verankerung in den jeweiligen Landesgesetzen aus dem Gesundheitsbereich (Krankenhaus-, Rettungsdienst- sowie Katastrophenschutzgesetze) findet. Für die Umsetzung ist ein 2020 erschienenes Handbuch KAEP des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz (BBK) hervorzuheben. Aus der Beobachterperspektive entsteht der Eindruck, der KAEP komme in Krankenhäusern nicht die verdiente Aufmerksamkeit zu. Große Krisenereignisse der letzten Jahre und ernstzunehmende Krisenszenarien werfen die Frage auf, wohin der Weg der KAEP in der Zukunft führen wird. Das Handbuch KAEP stellt zumindest konsterniert fest, dass ein suffizientes Notfallmanagement kostenintensiv sei und aktuell im dualen System der Krankenhausfinanzierung nicht berücksichtigt werde. Die Planungen erfolgten deshalb häufig oberflächlich und ohne die Mitarbeitenden ausreichend durch Schulungen und Übungen einzubinden.
Die KAEP stellt ein Instrument der Gefahrenabwehr da. Die Gesetzgebungskompetenz liegt im Schwerpunkt bei den Ländern. Sie ist in den landesrechtlichen Vorschriften uneinheitlich geregelt. Ihren Kern findet die KAEP in den Krankenhausgesetzen. Im Handbuch KAEP ist eine Übersicht der einzelnen Regelungen in den Ländern abgedruckt. Die unterschiedlichen Länderregelungen weichen voneinander ab. Teilweise sind sie eng an Großschadenslagen gekoppelt, teilweise werden aber auch den Krankenhäusern selbst innewohnende Gefahren (Cybervorfall, Umweltereignis, Brand etc.) berücksichtigt.
Das Handbuch KAEP sieht für die Ein- und Durchführung einer KAEP einen PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) vor. Nach der Planungsphase werden die geplanten Maßnahmen durchgeführt und im Nachgang evaluiert. Danach werden die getroffenen Maßnahmen ggf. nachjustiert, wodurch ein Übergang von der Act- zur Plan-Phase stattfindet und der Kreis sich schließt. Die sich regelmäßig wiederholende Risikoanalyse sollte die Leitung KAEP in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe KAEP durchführen. Initiiert werden muss dieser Prozess von der Leitungsebene der Krankenhäuser, da diese die Letztverantwortung für die Umsetzung von Rechtsvorgaben trägt. Trotz einer Delegation auf die Leitung der KAEP muss die Leitungsebene also die Umsetzung der Rechtsvorgaben zur KAEP prüfen. Die Risikoanalyse wird anhand einer definierten Checkliste durchgeführt. Hierbei werden Risiken hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und des Schadensausmaßes bewertet und im Anschluss in einer Risikomatrix dargestellt.
Nach der Durchführung der Risikoanalyse muss für die KAEP ein Projektplan durch die Leitung der KAEP aufgestellt werden, wofür sich in der Umsetzung Arbeitsgruppen anhand der festgestellten Szenarien anbieten. Als Ergebnis dieses Prozesses sollen am Ende Einzelpläne für die in der Risikoanalyse festgestellten Szenarien feststehen. Das Ziel der KAEP liegt in der Maximierung der Aufrechterhaltung der Patientenversorgung in Krisenphasen.
Wie bereits erwähnt, empfiehlt sich bei einer bei der Leitungsebene verbleibenden Letztverantwortung für die Etablierung einer KAEP die Beauftragung einer „Leitung“ KAEP, die sowohl die Arbeitsgruppe KAEP als auch die Durchführung der Risikoanalyse leitet, die zu treffenden Maßnahmen der KAEP initiiert und überwacht sowie die für die Krisenvorsorge elementare Vernetzung des Krankenhauses mit Dritten übernimmt. Die Leitung KAEP muss aufgrund ihrer (Studien-)Ausbildung qualifiziert sein, die Kernprozesse von Krankenhäusern zu kennen und zur Bewältigung ihrer Leitungsaufgaben über ausreichende Managementprozess- und Schnittstellenkenntnisse verfügen. Das Handbuch KAEP empfiehlt eine Funktionsausübung zumindest in Teilzeit. Grundsätzlich muss die Leitung KAEP über die ausreichenden finanziellen, zeitlichen und organisatorischen Ressourcen verfügen, um ihre Aufgaben erfolgreich wahrnehmen zu können.
Weiterhin wird die Gründung einer Arbeitsgruppe KAEP für notwendig erachtet, die interdisziplinär/interprofessionell besetzt ist. Laut Handbuch KAEP gehören Vertreter der Ärzteschaft, der Pflege, der Technik, der Logistik sowie des Brand- und Arbeitsschutzes in diese Arbeitsgruppe. Dadurch kann eine fachkundige Erstellung eines Alarm- und Einsatzplans gewährleistet werden.
Das Handbuch KAEP sieht eine Reihe von Maßnahmen und Prozessen vor, die in den jeweiligen Alarm- und Einsatzplänen für die einzelnen Krisenszenarien zum Einsatz kommen können. Technisch betrifft dies bspw. die Vorhaltung von Meldewegen (extern über Leitstellen und andere Behörden, intern bspw. über Brandmeldeanlagen), die personelle Zusammensetzung einer (zunächst ggf. operativen) Krankenhauseinsatzleitung (KEL), die bei Krisenszenarien den Führungsstab bildet, die Vorgehensweise bei der Sichtung von Menschen zur Priorisierung der medizinischen Versorgung (Stichwort: Triage), aber auch die technische Bewältigung von Krisen, weil je nach Szenario das Krankenhausinformationssystem (KIS) zur Verwaltung und Organisation der Patientenversorgung ausfallen kann. Ein wichtiges Element können außerdem Checklisten und Handlungsanweisungen darstellen, da in Krisensituationen verständlicherweise das Stresslevel steigt und die notwendigen Kenntnisse des Personals trotz Übungen aufgrund der Seltenheit und Unvorhersehbarkeit der Ereignisse ggf. eine Rückfall-/Sicherheitsebene benötigen.
Diese und weitere im Handbuch genannten Prozesse können in die für die einzelnen Krisenszenarien durch die Leitung KAEP und die Arbeitsgruppe KAEP entworfenen Einsatzpläne Eingang finden. Hierfür gibt das Handbuch KAEP einige ereignisspezifische Einsatzpläne vor.
Wie üblich wird auch für die KAEP darauf hingewiesen, dass sie nur dann effektiv sein kann, wenn sie kontinuierlich verbessert und hinreichend im Krankenhaus gelebt wird (“Awareness”). Um eine hohe Akzeptanz der KAEP bei den Beschäftigten zu erreichen, müssen die Mitarbeitenden angemessen geschult, regelmäßige Übungen von Krisenszenarien und vorgesehenen Maßnahmen durchgeführt sowie die gesamte KAEP wiederkehrend evaluiert werden. Für die Schulungen der Mitarbeitenden lohnt ein Ausbildungskonzept mit verschiedenen Modulen. Übungen müssen aufgrund ihres Aufwands stets durch die Leitungsebene unterstützt werden. Es gilt das Prinzip "Tone from the Top", wonach eine KAEP nur so gut sein kann, wie sie durch die Leitungsebene verinnerlicht und in ihrer Bedeutung nach außen getragen wird.
Die KAEP als dynamischer Prozess soll stets anhand aktueller Risiken und Schadensereignisse ausgerichtet und als lernendes System ("lessons learned") betrieben werden. Dies betrifft insbesondere auch die in der Krise stattgefundene Kommunikation, die nach Wiederkehr zum Normalniveau nach einem Ereignis ausgewertet werden muss. Im Handbuch KAEP sind Praxisberichte von Krisenereignissen abgedruckt, bei denen jeweils sehr intuitiv Lehren für die eigene KAEP gezogen werden können. Dies verdeutlicht, dass auch aus den Fehlern anderer gelernt werden muss. Externe Ereignisse müssen analysiert und die eigenen Strukturen hinterfragt werden.
Die Verpflichtung zur Einrichtung einer KAEP ist nicht mit ausdrücklichen Rechtsfolgen versehen. Es bleiben demnach aufsichtsrechtliche Konsequenzen bei einer Nichteinhaltung der Vorschriften durch die Aufsichtsbehörden der Länder. Darüber hinaus können die aus anderen Rechtsgebieten drohenden Rechtsfolgen mittelbare Konsequenz auf die KAEP haben. So profitiert die KAEP natürlich in der Praxis von den steigenden Bedrohungen im Cyberbereich und den dort verankerten erheblichen Rechtsfolgen (bspw. durch die Datenschutzgrundverordnung oder das Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik). Außerdem wird den Vorschriften zur KAEP eine Rolle bei der Bemessung von Haftungsfolgen bei Personenschäden eingeräumt.
Allerdings ist fraglich, welcher Mehrwert sich für die Praxis hieraus ergibt. Denn mit Verabschiedung des geplanten KRITIS-Dachgesetzes mit einer Umsetzungsfrist bis Oktober 2024, das die europäische Resilienz-Richtlinie umsetzen wird, bekommt die KAEP neue Konkurrenz, da im Anwendungsbereich der Resilienz-Richtlinie Sanktionen für mangelhafte Risikomanagementprozesse vorgesehen sind. Voraussichtlich wird zunächst nur ein kleiner Kreis der Krankenhäuser in den Anwendungsbereich des KRITIS-Dachgesetzes fallen, für den Rest bleibt es vorerst bei den Vorgaben der KAEP. Bei denjenigen Krankenhäusern, die von beiden Anwendungsbereichen erfasst werden, müssen Parallelprozesse vermieden und Synergien gesucht werden. So können bspw. bisherige Ergebnisse aus Risikoanalysen sowie Erfahrungen von Mitarbeitenden in Schlüsselpositionen der KAEP genutzt werden.
Bezüglich des geplanten Gesetzes mit Blick auf militärische Konflikte muss ein erster Entwurf abgewartet werden, um die Schnittmengen und ggf. auch Widersprüche mit der KAEP und dem KRITIS-Dachgesetz beurteilen zu können. Es bleibt zu hoffen, dass die Planungen eine ausreichende Finanzierung der Krisenmaßnahmen vorsehen, damit nicht nur abermals ein Regelungsgeflecht installiert wird, ohne nachhaltig die Krisenresilienz des Gesundheitswesens zu stärken.
Personell stellt sich in den Krankenhäusern die Frage, wie diese Vielzahl von Regelungen zu bewältigen ist. Klar ist, dass die Leitungsebene ein Grundverständnis für die Gefahren und Maßnahmen besitzen muss, um ihrer Leitungsaufgabe mit zutreffenden Delegationen nachkommen zu können. Gleichzeitig wird langfristig eine spezielle Leitungsposition (bspw. bei der Leitung KAEP) zu schaffen sein, die bezüglich aller in Betracht kommenden Regelungen den Überblick behält, die Unterschiede kennt und das Krankenhaus so ressourceneffektiv und zugleich risikoarm aufstellen kann.
Tilmann Dittrich, LL.M. (Medizinrecht)
Rechtsreferendar im OLG-Bezirk Düsseldorf
Doktorand an einem Lehrstuhl für Strafrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf